Ich heiße Marlies Müller, bin 27 Jahre alt, wohne seit vier Jahren in Berlin, lebe in einer Partnerschaft und habe ein einjähriges Baby.
«Seit ca. einem halben Jahr geht es mir zunehmend schlechter, ja ich würde sogar sagen, dass ich mich seit zwei Monaten in einem tiefen Abwärtssog befinde.»
Ich weiß nicht mehr, wie es weiter gehen soll. Bevor ich zu meinem Partner nach Berlin gezogen bin, habe ich in Freiburg gelebt. Ich habe dort als Medizinisch-technische Assistentin (MTA) gearbeitet, hatte einen intakten Freundeskreis und meine Familie war greifbar nahe. Vor allem meine Schwester und meine zwei besten Freundinnen fehlen mir. Ich liebe meinen Freund Paul, der Berliner ist, aber in Berlin bin ich nie wirklich angekommen. Vielleicht auch weil der Freundeskreis meines Partners doch immer sein enges Umfeld geblieben ist, in das ich immer wieder hineinschnuppere, mehr aber auch nicht. Vielleicht liegt es auch an mir. Ich bin einfach so anders wie seine Clique. Als ich hierher gekommen bin, war ich noch total begeistert, alles war so neu, aufregend und so inspirierend. Auch das Studium für „Angewandte und Molekulare Mikrobiologie“ hat mir damals total Spaß gemacht. Ich habe viele neue Leute kennengelernt, habe mich auch mit einigen Kommilitonen angefreundet, aber leider wurde da nie etwas Verbindliches daraus. Um ehrlich zu sein, finde ich die meisten ziemlich versnobt und oberflächlich. Da geht’s nur um irgendwelchen Uni-Kram oder um Klatsch und Tratsch. Echte Freunde fehlen eben. Die habe ich noch in meinem, ja sage ich mal, „echten zu Hause“ in Freiburg. Wir telefonieren immer wieder, aber das reicht eben nicht. Erstmals wurde es schlimm als die Prüfungen los gingen. Da war mein Freund immer weniger erreichbar für mich. Ich hing am Schreibtisch und er war unterwegs. Irgendwie hatte sich das dann so zur Routine entwickelt. Na und dann kam Anna, unsere kleine Tochter. Seit dem fühle ich mich wie gefangen zu Hause. Ich kümmere mich den ganzen Tag um die Kleine und bin dabei total einsam. Ich fühle mich überlastet und bin verzweifelt. Alles geht Berg ab. Ich habe keine Kraft mehr und weiß überhaupt nicht mehr wie es zukünftig weiter gehen soll. Ich stelle alles in Frage: unsere Familie, die Stadt, das Studium. Nichts passt mehr in meinem Leben.
Erklärung zum Bild «Marlies»
Links unten im Bild Die Personen stehen symbolisch für meine Familie und meine Freunde in Freiburg. Hier bin ich (Person mit den schwarzen Locken) integriert und fühle mich total wohl, es ging mir noch richtig gut. Auch meine Schwester (auch mit dunklem Haar) war oft bei mir und wir waren quasi unzertrennlich. Die Verbindungslinien unter den Personen stellen das enge Netzwerk dar. Wir wussten ständig wo was los war und waren sehr eng. Die blaue Gedankenblase um die Personen soll symbolisieren, dass ich heute in Gedanken oft in Freiburg bin und dieser Zeit nachtrauere.
Mittig im Bild Hier stehe ich heute (ich wieder mit den schwarzen Locken). Ich bin nachdenklich und traurig. Von hier aus habe ich mit grünen „Spiralen/Federn“ Verbindungen zu meiner Familie und meinen Freunden in Freiburg gemalt. Ich hoffe (grün) oder würde mir wünschen, dass ich sie wieder enger bei mir haben könnte, dass ich wie an einer „Gummi-Spirale“ ab und zu die Distanz verringern könnte. Die Telefonate reichen mir einfach nicht. Rechts neben mir habe ich meine kleine Anna gestempelt. Die gelben Verbindungslinien habe ich dicht gemalt, um die enge Abhängigkeit und Beziehung zu mir zu zeigen. Zu meinem Partner Paul hat sie auch eine gute Beziehung, die ist aber nicht so eng wie zu mir. Letztlich sorge ich mich den ganzen stressigen Tag um sie und Paul genießt die ruhigen Abendstunden mit ihr, wenn er zu Hause ist. Die Gedankenblase um Anna soll symbolisieren, dass ich mich gedanklich viel mit ihr auseinandersetzen muss, aber auch, dass sich meine Gedanken gerade sorgenvoll um sie und unsere Eltern-Kind-Beziehung drehen. Ich mache mir Vorwürfe, sie möglicherweise nicht genug zu lieben und mich nur um mich zu drehen. Das zieht mich richtig runter, wofür der schwarze Pfeil mit den Doppelstrichen steht.
Rechter Rand des Bildes Hier ist Pauls große Clique zu sehen. Die sind alle viel und aktiv in Kontakt, was die roten Verbindungslinien zeigen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich die Einzige hier bin, der es so schlecht geht. Naja und dann versuche ich hier immer mal wieder anzudocken (was die roten Pfeile symbolisieren), aber das blieb bisher wenig erfolgreich. Das ist und bleibt wohl eher Pauls Freundeskreis. Paul ist hier super integriert. Manchmal habe ich sogar die Befürchtung, dass er lieber mit denen unterwegs ist, als bei uns zu Hause. Daher habe ich ihn an den Rand der Clique gestempelt, etwas näher bei denen als bei Anna und mir. Auch darüber denke ich oft nach (Symbol der Gedankenblase um Paul). Oberflächlich gesehen sind wir im Alltag aber noch in gutem Kontakt und tauschen uns über das was tagtäglich ansteht aus. Das zeigen die blau-grünen Verbindungswellenlinien. Nach außen erscheint es wohl, als ob wir gut harmonieren. Keiner außer mir scheint zu merken, dass gerade alles Berg ab geht. Letztlich bleibe ich mit meinen Sorgen, Zweifeln und Zukunftsängsten allein (Symbol der leeren Gedankenblase über meinem Kopf).
Links oben im Bild Das sind meine Kommilitonen und mein doch eher oberflächlicher Freundeskreis in Berlin. Hier habe ich das Gefühl, dass alle irgendwie Anschluss gefunden haben (gelbe Verbindungslinien) und ich jetzt mit Anna alleine bin (zu den Kommilitonen habe ich daher nur eine zart gestrichelte Linien und ein paar vereinzelte Wellenlinien gemalt). Deren Uni-Getratsch interessiert mich letztlich aber auch gar nicht mehr.